Die sog. „einrichtungsbezogene Impfpflicht“

 

Wer dachte, der Gesetzgeber würde die sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht (richtigerweise einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht) wohl doch noch vor dem 15.03.2022 kippen oder aussetzen, der hatte sich wohl getäuscht. Nun ist mit § 20a IfSG (Infektionsschutzgesetz) eine Norm Rechtswirklichkeit, die bereits im Vorfeld schon zu Diskussionen unter den Juristen geführt hat und viele Fragen aufwirft.

Zum einen stehen Auslegungsprobleme in der juristischen Diskussion wohl an vorderster Front, bis hin zu der Auffassung, die Norm sei gar verfassungswidrig.

Was die Verfassungswidrigkeit des § 20a IfSG angeht, so hat sich das BVerfG mit seiner Entscheidung vom 10.02.2022 – Az.: 1 BvR 2649/21 in einem Eilverfahren schon einmal kurz wie folgt dazu geäußert:

„Zwar begegnet die Einführung einer einrichtungs- und unternehmensbezogenen Nachweispflicht in § 20a IfSG als solche unter Berücksichtigung der in diesem Verfahren eingeholten Stellungnahmen vor allem der sachkundigen Dritten zum Zeitpunkt dieser Entscheidung keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Es bestehen aber jedenfalls Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 20a IfSG gewählten gesetzlichen Regelungstechnik. Es handelt sich hier um eine doppelte dynamische Verweisung, da zunächst der Gesetzgeber auf die COVID-19-Schutzmaßnahmen-Ausnahmenverordnung verweist, die ihrerseits aber dann zur Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- oder Genesenennachweis auf Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des Robert Koch-Instituts verweist. Insoweit stellt sich die Frage, ob und inwieweit eine bindende Außenwirkung der dynamisch in Bezug genommenen Regelwerke der genannten Bundesinstitute hier noch eine hinreichende Grundlage im Gesetz findet (vgl. BVerfGE 129, 1 <22, 25 ff.>). Sollte dies der Fall sein, bedarf es weiterer Aufklärung, ob und inwieweit ein tragfähiger Sachgrund auch dafür vorliegt, dass nicht dem Verordnungsgeber selbst die Konkretisierung des vorzulegenden Impf- oder Genesenennachweises und damit auch der geimpften und genesenen Personen im Sinne des Gesetzes übertragen ist, sondern dies den genannten Bundesinstituten überlassen wird.“

Jetzt werden sich einige fragen, warum hat das BVerfG eine solch wichtige Frage nicht gleich entschieden, sondern sich lediglich auf solche Andeutungen beschränkt? Nun, das liegt zunächst einmal an dem Verfahren vor dem BVerfG an sich und im Weiteren wohl auch an der Komplexität einer solchen Entscheidung. Im Grunde haben hier einzelne Bürger oder auch Unternehmen Verfassungsbeschwerde direkt gegen dieses Gesetz erhoben, was ausnahmsweise zulässig ist. Da ein solches Verfahren jedoch sehr komplex ist, das BVerfG hierzu jede Menge Stellungnahmen aus Politik und Wissenschaft einholt und damit ein kurzes Zeitfenster vom Eingang der Verfassungsbeschwerde bis zu einer Entscheidung hierüber ausgeschlossen ist, kann gleichzeitig mit der Verfassungsbeschwerde auch ein Eilverfahren angestrengt werden. Das BVerfG könnte in einem solchen gleichzeitig beantragten Eilverfahren bis zur endgültigen Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auch die vorläufige Aussetzung des Vollzuges eines Gesetzes anordnen.

§ 32 Abs. 1 BVerfGG lautet hierzu wie folgt:

„(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.“

 Im Ergebnis dieser Formulierung steht nun eine Folgenabwägung durch das BVerfG, ohne die Entscheidung in der Hauptsache (Verfassungsbeschwerde) vorwegzunehmen. Zunächst stellt das Gericht fest auf der einen Seite fest, welche Folgen es aller Voraussicht nach hat, wenn des den Vollzug des Gesetzes vorläufig aussetzt, im Rahmen der Verfassungsbeschwerden dann aber eine Prüfung ergibt, dass das Gesetz verfassungskonform ist. Auf der anderen Seite stellt das Gericht dann fest, welche Folgen eintreten würden, wenn es den Vollzug nicht aussetzt, sich dann aber später herausstellt, dass das Gesetz doch verfassungswidrig ist. In einem zweiten Schritt wägt das Gericht dann diese Folgen gegeneinander ab und kommt dem Eilantrag nach oder auch nicht.

Im vorliegenden Fall des § 20a IfSG hat das BVerfG den Eilantrag zurückgewiesen und damit den Vollzug des § 20a IfSG nicht vorläufig ausgesetzt. Angedeutet hat das BVerfG zwar, dass es die einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht nicht als grundsätzlich verfassungswidrig einstuft, allerdings hat das BVerfG wohl Bedenken hinsichtlich der Regelungstechnik des Gesetzgebers, welcher zur Konkretisierung der Anforderungen an den vorzulegenden Impf- und Genesenennachweis auf die Covid-19-Schutzmaßnahmen-AusnahmeVO verweist, die ihrerseits wiederum auf die Internetseiten des Paul-Ehrlich-Instituts und des RKI verweist. Zum einen sieht es das BVerfG hier als zweifelhaft an, ob dies eine ausreichende rechtliche Grundlage für eine den Normadressaten bindende Außenwirkung darstellt und zum anderen selbst wenn dem so wäre, ausnahmsweise ein sachlich tragfähiger Grund dafür besteht, dass nicht dem Verordnungsgeber selbst die Konkretisierung des vorzulegenden Impf- oder Genesenennachweises übertragen ist, sondern dies den genannten Bundesinstituten überlassen wird.

Also stehen die Zeichen im Ergebnis nicht schlecht dafür, dass das BVerfG in den Hauptsachverfahren die Vorschrift des § 20a IfSG als verfassungswidrig einstufen könnte, allein wegen der verwendeten Reglungstechnik. Dies bleibt jedoch abzuwarten. Bis dahin ist § 20a IfSG jedenfalls anzuwenden. Damit stehen aktuell Abmahnungen, Kündigungen oder unbezahlte Freistellungen seitens der Arbeitgeber und auch Bußgelder und Zwangsgelder seitens der staatlichen Behörden im Raum, die jedoch für alle Beteiligten hin wie her mit vielfältigen rechtlichen Fragen behaftet sind. Und hierzu gehört eben auch die derzeit nicht einfach zu beantwortende Frage, wie diese Vorschrift auszulegen ist, also wie § 20a IfSG überhaupt zu verstehen ist und was damit eigentlich geregelt werden soll.

Welche Probleme hierbei auftauchen, soll allerdings in einem separaten Artikel beleuchtet werden.

Wer also in irgendeiner Form mit den Regelungen des § 20a IfSG in Konflikt gerät, sollte sich in jedem Fall anwaltlich beraten lassen, schon um die Weichen ggf. für die Zukunft richtig zu stellen.

 

Norman Sgumin

Rechtsanwalt