Coronavirus SARS-CoV-2 und das Arbeitsrecht

Aktuelles Thema:
Coronavirus SARS-CoV-2 und das Arbeitsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Pressemitteilungen überschlagen sich; das Sächsische Kultusministerium hat für öffentliche Schulen ab Montag (16. März 2020) eine unterrichtsfreie Zeit angeordnet; das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt hat einen Erlass zum Umgang mit Großveranstaltungen getroffen; Deutschland schließt die Grenzen zu Dänemark, Frankreich, Österreich und der Schweiz; einzelne Menschen stehen unter Quarantäne usw.

Einige Mandanten hatten uns aktuell anstehende Fragen zum Arbeitsrecht im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus gestellt.

Gern beantworten wir diese Fragen, deren Antworten wir auch Ihnen im nachstehenden Schreiben zur Verfügung stellen wollen.

1 Einleitung

1.1 Der Erreger

Coronaviren (CoV) können beim Menschen Krankheiten verursachen, die von leichteren Er-kältungen bis hin zu schwereren Erkrankun¬gen reichen.

Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein neues Virus, das bisher beim Menschen nicht nachgewiesen wurde. Die beim Menschen durch SARS-CoV-2 verursachte Krankheit wird als COVID-19 bezeichnet.

Dieses Coronavirus ist von Mensch zu Mensch übertragbar. Der Hauptübertragungsweg ist die Tröpfcheninfektion, d.h. dies kann direkt von Mensch zu Mensch über die Schleimhäute der Atemwege geschehen oder auch direkt über Hände, die dann mit Mund- oder Nasenschleimhaut sowie die Augenbindehaut in Kontakt gebracht werden.

Die Inkubationszeit kann nach den Veröffentlichungen bis zu 14 Tage betragen. Laut WHO beträgt sie durchschnittlich 5 bis 6 Tage.

1.2 Arbeitsrechtliche Fragestellungen

In arbeitsrechtlicher Hinsicht stellen sich wichtige Fragen:

• Was passiert mit dem Vergütungsanspruch, wenn keine Arbeit erbracht werden kann?
• Welche Folgen haben durch Behörden angeordnete Beschäftigungsverbote?
• Was passiert, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer freistellt?
• Darf der Arbeitnehmer nicht zum Dienst erscheinen, weil ihm die Anreise zu gefährlich erscheint oder er Kinder betreuen muss, weil die Kita/Schule geschlossen ist?
• Darf sich der Arbeitnehmer selbst freistellen?

Die Antworten auf diese Fragen sind teilweise (noch) ungeklärt. Es kommt zum Teil auf Einzelheiten an. Maßgeblich ist in der Regel der Einzelfall.

2 Rechtsgrundlagen

Einschlägige Rechtsgrundlagen finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch, dem Entgeltfortzahlungsgesetz und dem Infektionsschutzgesetz.

3 Beantwortung der Fragen

3.1 Welche Pflichten habe ich als Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Verbreitung des Corona-Virus?

Der Arbeitgeber ist zu Schutzmaßnahmen seinen Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet.

Der Arbeitgeber ist nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit gewährleisten und ihm möglich und zumutbar sind.

Die Arbeitnehmer sind nach §§ 15, 16 ArbSchG verpflichtet, jede erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich dem Arbeitgeber zu melden und dessen arbeitsschutzrechtlichen Weisungen nachzukommen.

Der Arbeitgeber kann seiner Belegschaft auferlegen, regelmäßig die Hände zu waschen, auf Körperkontakt (z.B. Händeschütteln) zu verzichten, das Tragen von Schutzmasken anordnen, das Tragen von Schutzkleidung anordnen, regelmäßiges Desinfizieren der Hände fordern, das Wechseln der Kleidung beim Betreten des Betriebs festlegen. Er kann auch Hygienehinweise erteilen (z.B. kein Niesen und Husten in die Hand). Der Arbeitgeber sollte seine Schutzmaßnahmen an den aktuellen Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes ausrichten.

Die Erteilung solcher Handlungsgrundsätze ist, sofern ein Betriebsrat besteht, mitbestimmungspflichtig. Möglich ist die Aufstellung eines „Pandemieplans“ z.B. auf Grundlage einer Rahmenbetriebsvereinbarung für den Pandemiefall mit dem Betriebsrat.

3.2 Darf ich als Arbeitgeber meine Arbeitnehmer auf eine Infektion testen bzw. testen lassen?

Der Arbeitgeber kann eine ärztliche Untersuchung eines zurückgekehrten Mitarbeiters anordnen, sofern ein berechtigtes Interesse besteht. Das berechtigte Interesse muss das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit des Mitarbeiters überwiegen. Es hat eine Abwägung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles stattzufinden.

War der Arbeitnehmer besonderen Ansteckungsrisiken ausgesetzt und zeigt Erkältungssymptome, kann auf eine konkrete Infektionsgefahr geschlossen werden. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Mitarbeiter in einer gefährdeten Region war, für die eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ausgesprochen war. Womöglich reicht bereits das Bestehen einer konkreten Situation am Ort der Reise durch ein deutlich erhöhtes Ansteckungsrisiko.

3.3 Verstößt der Arbeitgeber gegen datenschutzrechtliche Aspekte, wenn der Arbeitgeber eine Erkrankung an dem Coronavirus den anderen Arbeitnehmern offenlegt?

Sobald der Verdacht einer Ansteckung besteht oder ein Arbeitnehmer an dem Virus erkrankt ist, muss der Arbeitgeber seinen Fürsorgepflichten gegenüber den übrigen Mitarbeitern nachkommen.

Die übrigen Arbeitnehmer können von dem Verdacht der Ansteckung bzw. der Viruserkrankung in Kenntnis gesetzt werden.

Es liegt eine Verarbeitung personenbezogener Daten vor; hier: Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 9 Abs. 1 DSGVO. Die Offenlegung im Betrieb stellt eine rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinne von Art. 6 Abs. 1b, d und f DSGVO dar. Die Offenlegung erfolgt zur Erfüllung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und zum Schutz von Gesundheit und Leben der übrigen Mitarbeiter und dient berechtigten Interessen.

Die Erfüllung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitung des Virus überwiegt das Selbstbestimmungsrecht des erkrankten Arbeitnehmers, Art. 9 Abs. 1 DSGVO in Verbindung mit § 26 Abs. 3 BDSG.

3.4 Darf ich als Arbeitgeber meine Arbeitnehmer bezüglich bestehender Anzeichen einer Erkrankung befragen?

Stand der Arbeitnehmer in räumlicher Nähe zu einer mit dem Coronavirus infizierten Person, trifft ihn eine arbeitsvertragliche Hinweispflicht.

Der Arbeitgeber ist berechtigt, den aus einem Auslandsaufenthalt zurückkehrenden Arbeitnehmer zu befragen, ob er sich in einer gefährdeten Region oder an Orten mit einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko aufgehalten hat. Der Anspruch ist auf eine Negativauskunft beschränkt. Der Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, Auskunft über den genauen Aufenthaltsort zu geben.

Den Arbeitnehmer trifft in jedem Fall eine Hinweispflicht, wenn er als Kontaktperson gilt. Nähere Informationen zum Begriff der Kontaktperson stellt das Robert-Koch-Institut auf seiner Homepage zur Verfügung:
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html.

Die arbeitsvertragliche Hinweispflicht besteht auch, wenn der Arbeitnehmer die Voraussetzungen einer Kontaktperson erfüllt, ohne dass das zuständige Gesundheitsamt Quarantäne angeordnet hat.

3.5 Darf der Arbeitgeber verlangen, von zu Hause aus zu arbeiten?

Es besteht kein gesetzlicher Anspruch, von zu Hause aus zu arbeiten.

Ein solcher Anspruch kann sich aus dem Arbeitsvertrag, in Betrieben mit Betriebsrat aus einer Betriebsvereinbarung oder bei Anwendung von tarifvertraglichen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis aus einem Tarifvertrag ergeben.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können unabhängig davon Home-Office vereinbaren. In Betrieben mit Betriebsrat ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zu beachten.

3.6 Darf ich als Arbeitgeber meinen Arbeitnehmern Dienstreisen in Risikogebiete anordnen?

Sobald eine Reisewarnung für eine bestimmte Region ausgesprochen worden ist, ist die Anordnung von Dienstreisen unzulässig.

3.7 Darf ein gesunder Arbeitnehmer die Arbeitsleistung – berechtigt oder unberechtigt – verweigern, um eine eigene Ansteckung zu vermeiden?

Die Pflicht zur Arbeitsleistung wird grundsätzlich nicht berührt. Dem nicht erkrankten Arbeitnehmer steht kein generelles Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Absatz 1 BGB zu, wenn sich die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung auf dem Weg zur Arbeit oder durch Kontakte am Arbeitsplatz erhöht.

Der Arbeitnehmer ist weiterhin verpflichtet, die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen und den Anordnungen der Vorgesetzten Folge zu leisten.

Das gilt auch bei der Rückkehr eines Mitarbeiters aus einer gefährdeten Region, die von einer Reisewarnung betroffen ist oder die vom Robert-Koch-Institut als Risikogebiet eingestuft wurde.

Der Arbeitnehmer darf die Arbeit verweigern, wenn der Arbeitgeber die gebotenen Schutzmaßnahmen unterlässt. Ausnahmsweise könnten auch Leistungsverweigerungsrechte bei einem konkreten Ansteckungsverdachts im Sinne einer objektiven Gefahr in Betracht kommen.

Soweit der Arbeitnehmer unberechtigt seine Arbeitsleistung verweigert gelten die allgemeinen Grundsätze (kein Anspruch auf Arbeitsentgelt, Arbeitsvertragsverletzung, Möglichkeit einer Abmahnung bis hin zur Kündigung). Bevor in den Bestand des Arbeitsverhältnisses eingegriffen wird, sollte informiert und aufgeklärt werden.

3.8 Welche arbeitsrechtlichen Maßnahmen darf der Arbeitgeber als Prävention ergreifen?

Gemäß § 106 GewO ist der Arbeitgeber berechtigt, Arbeitnehmern andere zumutbare Aufgaben zuzuweisen. Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung werden durch den Arbeitgeber bestimmt.

Die Grenzen legen die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung, Tarifvertrag) und die Arbeitsschutzgesetze, beispielsweise das Arbeitszeitgesetz, fest.

In Betracht kommen folgende Maßnahmen:

• Zuweisung einer anderen Tätigkeit
• Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes
• Zuweisung Home-Office
• Zuweisung einer anderen Arbeitszeit
• Anordnung von Kurzarbeit bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen

Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (§§ 95 Abs. 3, 99 BetrVG) sind in Betrieben mit Betriebsrat zu beachten.

Zur Kurzarbeit:

Der Arbeitgeber kann Kurzarbeit anordnen, wenn die Arbeitsleistung aufgrund tarif- oder arbeitsvertraglicher Regelung oder aufgrund einer Betriebsvereinbarung ausgesetzt werden kann.

Das heißt:

Die einseitige Anordnung von Kurzarbeit ist nicht zulässig. Voraussetzung für die Anordnung von Kurzarbeit ist die Zustimmung des Arbeitnehmers. Eine solche Zustimmung kann sich aus den arbeitsvertraglichen Regelungen ergeben, d.h. Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag. Insoweit sind zunächst die Rechtsgrundlagen zu prüfen.

Sollte eine Rechtsgrundlage nicht vorhanden sein, ist mit dem Arbeitnehmer eine entsprechende Änderungsvereinbarung abzuschließen. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass eine solche Änderungsvereinbarung dadurch zustande komme, in dem der Arbeitnehmer nach der Weisung des Arbeitgebers widerspruchslos Kurzarbeit leiste. Sicherer ist meines Erachtens eine Änderungsvereinbarung.

Stimmt der Arbeitnehmer nicht zu, wäre eine Änderungskündigung auszusprechen.

Kurzarbeitergeld:

Im Falle der wirksamen Anordnung von Kurzarbeit können die Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld gemäß § 95 ff. SGB III beziehen.

Voraussetzung zur Gewährung von Kurzarbeitergeld ist insbesondere der erhebliche Arbeitsausfall mit Entgeltausfall i.S.v. § 96 Absatz 1 Nr. 4 SGB III. Der Betrieb muss alles Mögliche getan haben, um die Kurzarbeit zu vermeiden.

https://www.arbeitsagentur.de/news/kurzarbeit-wegen-corona-virus

https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/finanziell/kurzarbeitergeld-uebersicht-kurzarbeitergeldformen

3.9 Hat der am Coronavirus erkrankte Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung?

Grundsätzlich besteht – wie im Falle einer „normalen“ krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit – ein Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz.

Aber: Das gilt nur, wenn den Arbeitnehmer hinsichtlich der Erkrankung kein Verschulden trifft. Ein solches Verschulden kommt in Betracht, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen einer Privatreise gegen eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes verstoßen hat.

Wie unter 3.4 dargestellt ist der Arbeitgeber berechtigt, aus einem privaten Auslandsaufenthalt zurückkehrende Arbeitnehmer zu befragen, ob sie sich in einer gefährdeten Region oder an Orten mit einem deutlich erhöhten Ansteckungsrisiko aufgehalten haben.

3.10 Welche Ansprüche können sich aus einer Anordnung von Quarantäne oder einem Tätigkeitsverbot eines Arbeitnehmers ergeben?

Die Rechtsgrundlagen sind im Infektionsschutzgesetz geregelt.

Die zuständige Behörde kann im Falle des Ausbruchs einer meldepflichtigen Krankheit (§§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz) beispielsweise die Quarantäne und das berufliche Tätigkeitsverbot gemäß §§ 30, 31 IfSG anordnen.

Das Bundesministerium für Gesundheit hat mit der am 01. Februar 2020 in Kraft getretenen „Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in Wuhan/Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Coronavirus („2019-nCoV“)“ die Meldepflicht nach dem IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion am Coronavirus ausgedehnt.

Gemäß § 56 Abs. 1 IfSG erhält derjenige, der als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger (siehe unten 5.4 § 2 IfSG) oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG beruflichen Tätigkeitsverboten unterliegt oder unterworfen ist und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld.

Das gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider oder Ansteckungsverdächtige abgesondert werden (Quarantäne), bei Ausscheidern nur, wenn sie andere Maßnahmen nicht befolgen können.

Die Entschädigung bemisst sich gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 IfSG nach dem Verdienstausfall. Als dieser gilt nach Abs. 3 Satz 1 das Netto-Arbeitsentgelt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die unter 5.4 zitierte Vorschrift verwiesen.

Der Arbeitgeber hat für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen die Entschädigung anstelle der zuständigen Behörde auszuzahlen.

Achtung: Der Antrag auf Erstattung gegen die Behörde ist gem. § 56 Abs. 11 IfSG innerhalb von drei Monaten nach Einstellung der verbotenen Tätigkeit oder dem Ende der Absonderung geltend zu machen. Dem Arbeitgeber ist auf Antrag ein Vorschuss zu gewähren.

Selbständige, deren Betrieb oder Praxis während der Dauer einer Maßnahme nach § 56 Abs. 1 IfSG ruht, können neben der Entschädigung auch Ersatz für die in dieser Zeit weiterlaufenden nicht gedeckten Betriebsausgaben in angemessenem Umfang beantragen.

Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch aus § 56 IfSG ist, dass die betroffene Person durch das Tätigkeitsverbot oder die Quarantäne einen Verdienstausfall erleidet.

Problematisch in diesem Zusammenhang erachte ich eine ältere Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 30. November 1978 zu Az. III ZR 43/77:

„Steht einem Arbeitnehmer, gegen den ein seuchenpolizeiliches Tätigkeitsverbot verhängt worden ist, für den Verbotszeitraum ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Absatz 1 BGB zu, so besteht ein Entschädigungsanspruch nach § 49 Abs 1 BSeuchG (jetzt wäre § 56 Infektionsschutzgesetz einschlägig) nicht. Daher kann der Arbeitgeber eine Erstattung des fortgezahlten Arbeitslohns nach § 49 Absatz 4 Satz 2 BSeuchG nicht beanspruchen.“

Die Dauer der Entgeltfortzahlung hänge von den Umständen des Einzelfalles ab. Nach der genannten Entscheidung sei das für höchstens 6 Wochen.

Die Anwendung des § 616 BGB könne durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

Eventuell bestehende Ansprüche sind im Einzelfall zu prüfen.

3.11 Hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitsentgelt, wenn er wegen Schließung von Kindertagesstätten und/oder Schulen kurzfristig wegen der Kinderbetreuung zu Hause bleiben muss?

Ein Anspruch kann sich aus § 616 Satz 1 BGB ergeben. Hiernach bleibt bei einer persönlichen Arbeitsverhinderung, die unverschuldet und vorübergehend ist, der Anspruch auf Arbeitsentgelt erhalten. Das betrifft auch den Fall der Kinderbetreuung.

Der Anspruch aus § 616 BGB kann durch arbeits- oder tarifvertragliche Vereinbarungen eingeschränkt oder vollständig ausgeschlossen sein.

Insoweit sind zunächst die arbeitsvertraglichen Vereinbarungen zu prüfen.

Beantragt der Arbeitnehmer Urlaub, erhält er Urlaubsentgelt.

Ist die Anwendung von § 616 BGB nicht wirksam ausgeschlossen, gilt folgendes:

Rechtsprechung und Literatur haben sich hinsichtlich der Kinderbetreuung bisher überwiegend mit der Problematik der Betreuung von erkrankten Kindern beschäftigt.

Insoweit wird zu unterscheiden sein, ob das zu betreuende Kind gesund oder erkrankt ist.

Für erkrankte Kinder gelten die bekannten Grundsätze. § 45 SGB V enthält eine besondere Regelung für die Pflege kranker Abkömmlinge. Bis zur Altersgrenze des § 45 SGB V (12 Jahre) ist eine Erkrankung in aller Regel ein persönlicher Leistungshinderungsgrund für die Mutter oder den Vater. Sind beide Eltern beruflich tätig, können sie selbst entscheiden, wer von ihnen die Pflege eines erkrankten Kindes übernimmt (BAG 20.6.1979, AP § 616 Nr. 50). Ist nur eines der Elternteile erwerbstätig, so muss der andere Teil die Pflege übernehmen, denn die Freistellung des arbeitenden Elternteils ist in diesen Fällen in aller Regel nicht notwendig und dem Arbeitgeber nicht zumutbar (BAG 20.6.1979, AP § 616 Nr. 50).

Für die Betreuung gesunder Kinder ist meines Erachtens abweichend zu verfahren.

In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass § 616 BGB bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen das Entgeltrisiko auf den Arbeitgeber im Fall der nicht vorhersehbaren Notwendigkeit, ein Kind oder eine sonstige betreuungsbedürftige Person selbst zu betreuen, mit welcher der Arbeitnehmer in einem Haushalt wohnt, verlagert . Daraus ergäbe sich der Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortzahlung der Vergütung bei der Pflege erkrankter Kinder.

Im Vergleich zum Pflegebedarf erkrankter Kinder ist der persönliche Betreuungsbedarf gesunder Kinder aber deutlich geringer zu veranschlagen. Eltern und Kindern kann zugemutet werden, die Kinder kurzfristig in die Obhut Dritter zu geben.

Die Altersgrenze, ab der Kinder allein in der Wohnung gelassen werden können, ist ebenfalls deutlich niedriger anzusetzen.

Das bedeutet:

Zunächst sind die Eltern gehalten, alle zumutbaren Anstrengungen für die Sicherstellung der Kinderbetreuung zu unternehmen (Betreuung durch den anderen Elternteil o.ä.).

Gemäß Veröffentlichung unter https://www.medienservice.sachsen.de/medien/news/234989 hat Sachsens Kultusministerium für öffentliche Schulen ab Montag (16. März 2020) unterrichtsfreie Zeit angeordnet. Die Schulen sind zwischenzeitlich geschlossen.

Mit der Entscheidung wurde Eltern die Möglichkeit gegeben, sich bis zur Schließung von Schulen, auf eine Betreuung von Kindern und Schülern im häuslichen Umfeld einstellen zu können.

4 Empfehlung

Wir empfehlen Ihnen, die aktuellen Entwicklungen weiter zu verfolgen.

Bei sämtlichen Fragen rund um das aufgezeigte Thema und alle weiteren arbeitsrechtlichen Problemfelder unterstützen wir Sie gern.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Kampf
Rechtsanwalt